Dienstag, 2. Oktober 2012

Kulturclash.

Ungeheuerlich. Nicht nachvollziehbar, was ich getan habe. Für manche Menschen zumindest. Wie konnte ich nur?! Ich habe mich verliebt – und zwar in einen Omni! Allein das ist schon prekär, aber dafür einen Veganer zu verlassen … un-ge-heuerlich! Und zwar auf beiden Seiten der frischgegossenen Münze der Liebe. Denn auch mein neuer Freund muss sich so einiges anhören, seit er mit mir angebandelt hat. Eine Person fragte ihn beispielsweise, warum er sich „immer so schwierige Frauen“ sucht. Zwei Personen wollten - unabhängig voneinander - wissen, wieso er denn bitteschön überhaupt mit mir zusammen ist? Klar habe ich in den vier Jahren meines pflanzenfressenden Daseins schon viel mit allesfressenden Mitwesen mitmachen und mir so einiges anhören müssen. Bloß hatte ich damals den Vorteil, dass ich sehr kurz nach meinem Lebenswandel in eine ganz andere Region Deutschlands gezogen bin und mir dort (bzw. hier) von Anfang an ein veganes Umfeld zusammensuchen und vegane Freundschaften aufbauen konnte. Die bestehen natürlich nach wie vor, aber nun bin ich zum ersten Mal wieder in einem sozialen Gewebe hängengeblieben, in dem die spärlich gesäten Vegetarier wohlwollend toleriert und die nicht vorhandenen Veganer irritiert als vollkommen ausgeflippte Freaks mit nicht nachvollziehbaren Intentionen mystifiziert werden. Und dann kam ich hereingeschneit. Die neue Freundin, die man zähneknirschend hinnehmen muss. Wir besuchten einen Kumpel meines Freundes, der es lustig fand, mir zu erklären, dass Tiere dafür „gemacht“ worden seien, von den Menschen ausgebeutet und getötet zu werden. Ich tat, was ich in dem Fall immer tue – und ich weiß, dass das nicht die beste Lösung ist –: nuschelte „ich geh mal raus“, und ging raus. Und blieb weg. Dem Anblick meiner Tränen wollte ich ihm nicht gönnen. Seitdem ist für diesen Arm der Sozialamöbe klar: Die Frau ist soooo schwierig! humorlos! seltsam! arrogant! aggressiv! Besagter Mensch sah mich wenige Tage später von seinem Auto aus auf dem Gehweg nach Hause laufen, traute sich aber nicht, mich zu grüßen; aus Angst, ich würde – ich zitiere – ihm „die Fresse polieren“. Richtig. Ich lebe vegan, bin somit gegen Ausbeutung, Sklaverei, Mord und Herrschaftsausübung … und deshalb schlage ich meinen Mitmenschen mit Wonne zur Begrüßung ins Gesicht! Szenenwechsel. Einige Monate später. Wir werden zur Geburtstagsparty eines alten Freundes von meiner besseren Hälfte eingeladen. Jener alte Freund hat offenbar ein großes Problem mit Andersessenden. Nicht nur fragte er meinen Freund ungläubig, ob dieser das von mir auf Facebook gepostete „eklig aussehende“ Essen (gefüllte Paprika-Oliven mit Walnusscreme, gebackene Pizzabrötchen und frittierte Blumenkohl-Sojahack-Nuggets mit Petersilien-Zwiebel-Knobi-Zitronen-Yofudip) etwa auch essen würde, um ihn im selben Atemzug darauf zu vertrösten, dass es bei der besagten Geburtstagsparty „Fleisch, Fleisch, Fleisch und Fleisch“ geben würde – nein, wenige Tage vor jener Feier erklärte er meinem Freund hinter meinem Rücken, dass er „nichts dagegen“ hätte, wenn ich auf die von ihm als „Carnivorenparty“ bezeichnete Feier mitkäme (wie gütig!), ABER: Sobald ich „schlechte Laune verbreiten“ würde, würde ich sofort rausgeschmissen werden! Wer kann so einer liebevollen, ehrlichen, freundlichen Einladung zu einer Party widerstehen? Ich. Offenbar war die ganze Chose meinem Liebsten auch zu blöd, jedenfalls entschied er sich – aus freien Stücken, wohlgemerkt! –, dem Event ebenfalls fernzubleiben, obwohl ich ihn dazu anhielt, trotzdem hinzugehen. Immerhin sind die beiden schon seit roundabout einem Jahrzehnt befreundet. Das Resultat entdeckte ich gerade (wie sollte es anders sein?) bei Facebook. Ich, die entzweiende neue Freundin, wurde von besagtem „Carnivoren“ und von seiner Freundin rigoros aus ihren Freundelisten gekickt. Jawohl. Weil … ja, warum eigentlich? Ich habe zu dem Thema kein Wort mit diesen Menschen gewechselt. Überhaupt habe ich sie erst zwei, drei Mal kurz gesehen und außer freundlichem Geplänkel kam nicht viel dabei rum. Ich habe mich nicht über den bescheuerten Kommentar über mein Essensfoto beschwert. Ich habe nicht meine Meinung dazu gesagt, dass jemand so feige ist, hinter meinem Rücken Auflagen zu kommunizieren, deren Einhaltung meine Anwesenheit legitimieren. Mit keiner Geste und keinem Wort habe ich auf irgendetwas reagiert. Und doch scheinen diese Leute plötzlich einen Groll gegen mich zu hegen. Faszinierend. Ich hatte mich eigentlich schon darauf gefreut, für die Party eine Ladung Mokka-Kahlúa-Cupcakes zu backen. Was soll’s. Auf der anderen Seite gab es auch interessante Reaktionen auf unsere gemischternährende Verbindung. Da ist dieser Vorfall gewesen, bei dem ich mit meinem Ex auf zwei gemeinsame (vegane) Bekannte stieß, die ihn lautstark begrüßten, ihn freudig umarmten, sofort ein Gespräch mit ihm begannen und mich keines Blickes würdigten. Als sei ich unsichtbar. Ich bin ja die Böse. Da ist dieser Veganer gewesen, der andauernd das Thema aufgriff, dass ich ja nun mit einem Omni zusammen sei. Dass ich versichert sein könne, dass er das ja nicht könne, einen Omni küssen. Weil die ja nach Fleisch schmecken. (Hä?) Dass er es ja absolut nicht nachvollziehen könne – einen Veganer zu verlassen für einen Omnivoren! Ja, ja, ja, ist ja gut, ich hab’s verstanden, denke ich mir dabei. Und bin einfach nur froh über die vielen vielen lieben, unkomplizierten Menschen um mich herum, denen die Ernährungsweise sowohl von meinem Freund als auch von mir einfach mal am Arsch vorbeigeht. Zum Glück ist das der Großteil unserer Freunde und Bekannten, bei den Familien sowieso. Je bekloppter die Zwischenvorfälle, die von der Tatsache herrühren, dass ich vegan lebe und mein Freund nicht, desto mehr weiß ich die Leute zu schätzen, die uns (beide!) so mögen und annehmen, wie wir sind. Ich wappne mich innerlich gegen weitere Anschuldigungen und Unverständnis und freue mich schon auf das, was uns in nächster Zeit bevorsteht – sobald sich herumgesprochen hat, dass mein Freund seit anderthalb Monaten Vegetarier ist!

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